Veranstaltet von: Universität Wien, Institut für Germanistik. Stefan Krammer
18.08.2022
Hauptgebäude der Universität Wien
Die Deutschdidaktik ist von unterschiedlichen Dimensionen des Politischen durchdrungen: sei es durch ihre spezifischen Gegenstände, Methoden und Ziele, sei es durch ihre theoretischen Positionierungen, sei es durch ihre inter- und transdisziplinäre Ausrichtung. Wie sehr sie sich als Agentin des Politischen versteht und ihre politische Verantwortung wahrnimmt, soll im Rahmen des 24. Symposions Deutschdidaktik 2022 diskutiert werden. Von Interesse sind dabei die verschiedenen Politiken, die im Bereich der Sprach-, Literatur- und Mediendidaktik verfolgt werden, wie auch bildungspolitische Einflüsse und hochschulpolitische Entscheidungen auf inhaltlicher, struktureller und prozessualer Ebene. Grundlegend ist zu klären, welches Politikverständnis diesen Annahmen zugrunde liegt. Denn die Vielfalt an Zugängen in der politischen Theorie (u.a. Jacques Rancière, Chantal Mouffe, Judith Butler) spannt lediglich einen Rahmen auf, innerhalb dessen sich das Politische auch für die Deutschdidaktik konturieren lässt: Dieser reicht von politisch bedingten Normierungen über Bruchlinien, an denen Konflikte und Kontroversen sichtbar werden, bis hin zu partizipativen Prozessen und hegemonialen Interventionen. Weitere Perspektiven bieten etwa Zugänge der Friedens-, Demokratie- oder Migrationspädagogik.
Ausgehend von deutschdidaktischen Forschungsperspektiven sollen insbesondere auch Aspekte politischer Bildung im Deutschunterricht untersucht werden. Schnittstellen mit einzelnen Lern- und Arbeitsfeldern des Deutschunterrichts sind offensichtlich: Schlüsselbegriffe wie beispielsweise die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe, das Hinführen zu Kritik- und Urteilsfähigkeit oder Demokratie- und Friedenserziehung sind längst in Lehrplänen verankert. Was literarisches und medienästhetisches Lernen betrifft, finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte, an die sich der emanzipatorische Auftrag an den Deutschunterricht mittels einer breit gefächerten Methodik anschließen lässt. Die Lerngegenstände selbst bieten eine profunde Quelle für die Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen. Denn Literatur und andere Medien bilden ein Archiv des Wissens über Politik, können zur Konkretisierung von politischen Vorstellungen herangezogen werden und sind integraler Bestandteil von politischen Diskursen.
Der Deutschunterricht vermittelt zentrale kommunikative Kompetenzen, die für politische Bildung Voraussetzung sind: Die Fähigkeit, Texte und unterschiedliche Medien zu verstehen und kritisch zu beurteilen, ist dabei genauso relevant, wie sich gewaltfrei mit anderen Personen unterhalten zu können. Die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens, aber auch der Umgang mit Digitalität sind direkt mit gesellschaftlicher Teilhabe und politischer Handlungsfähigkeit verbunden. Sprachliche Kompetenzen, mündliche wie schriftliche, stehen mit Chancengleichheit, Bildungserfolg und sozialer Gerechtigkeit im Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund sind auch Konzepte von Inklusion zu reflektieren, die dadurch politische Brisanz erfahren, dass sie sich im Spannungsfeld zwischen Individualisierung, Standardisierung, Kompensation und Diversität bewegen.
Eine weitere Dimension des Politischen betrifft Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt. Deren Stellenwert für Bildungsprozesse muss in der deutschdidaktischen Diskussion – vor allem im Zuge globaler Migration – auch angesichts der Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden, verhandelt werden. Ebenso sind die Bereiche Sprachbildung, Sprachbewusstsein und Sprachreflexion von institutionalisierten Erwartungen und Normvorstellungen geprägt. Denn zweifelsohne sind mit Sprache auch Machtdiskurse verbunden – sprachliche Normvorgaben stellen Konventionen dar, deren Beherrschung im Schulbereich mit Bildungschancen verknüpft ist und auch im außerschulischen Bereich erhebliche rechtliche Konsequenzen haben kann.
Eine Reihe von Kontroversen bestimmen in Hinblick auf potentielle und reale Vermittlungskulturen sowohl die hochschul- als auch schulpolitische Landschaft: Wie verhalten sich etwa Deutschdidaktik und Deutschunterricht zu den in politischen Kontexten regelmäßig neu aufflammenden Debatten um eine gendergerechte Sprache? Oder welche politischen Ansprüche durchziehen Kanonfragen, z.B. in Bezug auf die Auswahl an „klassischen“ Texten, die im Deutschunterricht, aber auch im Hochschulstudium künftiger Deutsch-Lehrpersonen zu lesen sind? Welchen Stellenwert sollte dabei die Kinder- und Jugendliteratur bekommen und wie viel theater-, film- und medienwissenschaftliche Grundlagen müssen vermittelt werden? Auch handlungsleitende Vorgaben – von Lehrplänen, Erlässen bis hin zu Lehrwerken – durchlaufen politische Entscheidungsprozesse; die Lehrer:innenbildung bleibt davon nicht unbeeinflusst.
Nicht zuletzt kommt der Blick in die Vergangenheit und damit eine kritische Selbstreflexion des Faches ins Spiel: Wie hat sich die Deutschdidaktik historisch entwickelt? Welcher Wertewandel hat sich in ihr vollzogen? Welche Wege wurden verlassen, um – mit anderen ideologischen Vorstellungen – neue Richtungen einzuschlagen, die den gesellschaftlichen Realitäten eher entsprechen? Es gilt auch zu fragen, wie das nicht selten spannungsreiche Verhältnis zwischen Deutschdidaktik und Deutschunterricht künftig austariert werden sollte und welche Rolle dabei die Bildungspolitik spielt: Führt die Deutschdidaktik politische Vorgaben lediglich aus oder vermag sie auch ihrerseits den Kurs des Bildungsdampfers zu beeinflussen? Wo darf, kann und muss Deutschdidaktik widerständig und unbequem sein?
Mit derartigen Fragen wird sich das 24. Symposion Deutschdidaktik 2022 auseinandersetzen, um eine facettenreiche Standortbestimmung der Deutschdidaktik in Bezug auf die verschiedenen Dimensionen des Politischen vorzunehmen. Dabei sollen zum einen Perspektiven einer politischen Sprach-, Literatur- und Mediendidaktik ausgeleuchtet werden. Zum anderen sollen aktuelle Forschungsprojekte aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Deutschdidaktik präsentiert und in Hinblick auf politische Implikationen reflektiert werden.